Der Märchenerzähler zu Gast in der PUS

Vor Weihnachten, passend zur besinnlichen Zeit im Jahr, kam nach Corona-bedingter Pause endlich wieder der Märchenerzähler in die 5. Klassen. Für die Schüler vollkommen ungewohnt, gab es keinerlei Bilder. Keine Filme. Keine Texte zum Mitlesen. Nur aus dem gesprochenen Wort ergab sich von Herrn Eberhard Vogelwaid erzählt, ein Bild im Kopf zu Märchen aus den Niederlanden, der Ukraine und Südamerika. Dabei hatte jeder Schüler sein eigenes Bild im Kopf, wenn von Riesen und Fabelwesen die Rede war.

Aus dem großen Fundus an Geschichten – 60 Märchen könne er allein aus dem Stand erzählen – begeisterte der Märchenerzähler die rund 100 Schüler. Der gelernte Bäcker merkte früh, dass er ein gutes Gedächtnis hat und er sich leicht komplexe Dinge merken kann. So ergab es sich, dass er sein Hobby sogar zum Beruf machen konnte. Seit 1989 erzählt er öffentlich Geschichten und Gedichte aus aller Welt. Dazu sei aber ein tägliches Training unerlässlich. Auf die Frage nach seinem persönlichen liebsten Märchen, sagte er, er habe keines, denn jedes Märchen sei auf seine eigene Art wunderbar!Und was ist dein ganz persönliches Lieblingsmärchen?

Wie viele Märchen kennst du? 

Kannst du sie auch erzählen?

Zum Beginn des neuen Jahres möchte ich dir noch ein Märchen mit auf den Weg geben. Vielleicht kannst du es ja auch bald auswendig weitererzählen? Genau davon leben Märchen – bis heute!

Tempel mit tausend Spiegeln

In einem fernen Land gab es vor langer, langer Zeit einen Tempel mit tausend Spiegeln und eines Tages kam, wie es der Zufall so will, ein Hund des Weges. Der Hund bemerkte, dass das Tor zum Tempel der tausend Spiegel geöffnet war und vorsichtig und ängstlich öffnete er das Tor und ging in den Tempel hinein. Und Hunde wissen natürlich nicht, was Spiegel sind und was sie vermögen und nachdem er den Tempel betreten hatte, glaubte er sich von tausend Hunden umgeben. Und der Hund begann zu knurren und er sah auf die vielen Spiegeln und überall sah er einen Hund, der ebenfalls knurrte. Und er begann die Zähne zu fletschen und im selben Augenblick begannen die tausend Hunde die Zähne zu fletschen und der Hund bekam es mit der Angst zu tun. So etwas hatte er noch nie erlebt und voller Panik lief er, so schnell er konnte, aus dem Tempel hinaus. Dieses furchtbare Erlebnis hatte sich tief in das Gedächtnis des Hundes vergraben. Fortan hielt er es für erwiesen, dass ihm andere Hunde feindlich gesinnt sein mussten. Die Welt war für ihn ein bedrohlicher Ort und er ward von anderen Hunden gemieden und lebte verbittert bis ans Ende seiner Tage.

Die Zeit verging und wie es der Zufall so will, kam eines Tages ein anderer Hund des Weges. Der Hund bemerkte, dass das Tor zum Tempel der tausend Spiegel geöffnet war und neugierig und erwartungsvoll öffnete er das Tor und ging in den Tempel hinein. Und Hunde wissen natürlich nicht, was Spiegel sind und was sie vermögen und nachdem er den Tempel betreten hatte, glaubte er sich von tausend Hunden umgeben. Und der Hund begann zu lächeln und er sah auf die vielen Spiegeln und überall sah er einen Hund, der ebenfalls lächelte - so gut Hunde eben lächeln können. Und er begann vor Freude mit dem Schwanz zu wedeln und im selben Augenblick begannen die tausend Hunde mit ihrem Schwanz zu wedeln und der Hund wurde noch fröhlicher. So etwas hatte er noch nie erlebt und voller Freude blieb er, solange er konnte, im Tempel und spielte mit den tausend Hunden. Dieses schöne Erlebnis hatte sich tief in das Gedächtnis des Hundes vergraben. Fortan sah er es als erwiesen an, dass ihm andere Hunde freundlich gesinnt waren. Die Welt war für ihn ein freundlicher Ort und er ward von anderen Hunden gern gesehen und lebte glücklich bis ans Ende seiner Tage.

Märchen aus Indien

Bild und Text: Wiebke Dobe 

 

Zurück